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om185 / Band 10
Johann Friedrich Agricola (1720-1774)
Uns ist ein Kind geboren
Kantate zum 1. Weihnachtstag
für Soli und Chor (SATB), 3 Trp, Pk, 2 Hr, 2 Fl, 2 Ob, 2 Fg, 2 Vl, Va und Bc
Herausgegeben von Carolin Sibilak

Erscheint am 15. Mai 2015.

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ISMN 979-0-700317-76-8
Broschur, XIV+102 Seiten
inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten 32,50 EUR

[...] Auslöser für Agricolas verstärkte Hinwendung zur Kirchenmusik könnte ein Ereignis im Jahr 1755 gewesen sein, wurde er doch in diesem Jahr dazu berufen, die Uraufführung von Carl Heinrich Grauns Passionskantate „Der Tod Jesu“ im Berliner Dom zu leiten, bei der er zudem die Tenorpartie übernahm. (Agricolas Frau Benedetta Molteni sang die Sopran-Partie). Der Erfolg des Werkes auf den Text Ramlers – zunächst von Graun und Telemann gleichzeitig vertont und 1756 wechselweise in Berlin und Hamburg aufgeführt – veranlasste möglicherweise auch Agricola, sich der Kirchenmusik zuzuwenden. Auf der Grundlage der in den Berliner Zeitungen veröffentlichten Anzeigen zu Aufführungen lässt sich festhalten, dass insbesondere im Zeitraum ab 1755 bis zum Tod Agricolas 1774 dessen Kompositionen fester Bestandteil der Kirchenmusik an St. Petri waren. Daneben waren Buchholtz (Kantor an St. Petri) und Agricola offenbar auch für das kirchenmusikalische Repertoire bei der Königin-Mutter Sophia-Dorothea und der Prinzessin Anna Amalia zuständig. Agricola arbeitete dabei mit allen namhaften zeitgenössischen Berliner Librettisten zusammen; neben Carl Wilhelm Ramler (1725-1798) als Autor der Oratorientexte der „Leben-Jesu-Trilogie“ lassen sich als Textlieferanten der in Potsdam wirkende königlich preußische Hofprediger Leonhard Cochius (1717–1779) und für zwei Kantaten der Theologe, Schriftsteller und Übersetzer Christian Gottlieb Lieberkühn (um 1730-1761) nachweisen. [...] Gleiches gilt für die übrigen im Archiv der Sing-Akademie überlieferten Kantaten Agricolas, einschließlich der hier vorgelegten Weihnachtskantate — alle entstammen dem Kontext der Kirchenmusikpflege an St. Petri in Berlin. Die Kantate „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis“ (Quellenpublikationen aus dem Archiv der Sing-Akademie zu Berlin, Band 11) wurde laut Einträgen in der autographen Partitur 1768 komponiert und 1771 in St. Petri wiederaufgeführt. Zu der vorliegenden Kantate „Uns ist ein Kind geboren“ liegen keine Aufführungsdaten vor, das überlieferte Material legt aber den gleichen Gebrauchszusammenhang nahe. Anders als bei der großen Weihnachtsmusik auf den Ramler-Text (vgl. Musik zwischen Elbe und Oder, Bd. 29, J. F. Agricola, Die Hirten bei der Krippe) haben wir es bei den beiden letztgenannten Kantaten mit konventionelleren textlichen Vorlagen zu tun (die Textdichter sind nicht bekannt). Von ihrem formalen Aufbau her unterscheiden sich die Kantaten Agricolas nicht wesentlich vom zeitüblichen Repertoire.  Auf einen Eingangschor, der beinahe immer durch einen charakteristischen Wechsel von Soli und Tutti geprägt und stets homophon gehalten ist, folgen im Wechsel Rezitative und Arien, unterbrochen durch einen weiteren Chor bzw. Choräle. Der zweite oder dritte Chor im Stück ist diejenige Stelle, an der ein theologischer Kernsatz herausgehoben wird. Auffallend ist der häufige Einsatz von Accompagnati, oft solistisch (als Secco) beginnend und durch die Hinzuziehung weiterer Stimmen bis zum Quartett gesteigert. Ein besonderes Markenzeichen von Agricolas Setzkunst ist seine farbige, ausdrucksstarke Instrumentierung, insbesondere durch den subtilen Gebrauch der Bläserstimmen, aber auch durch genaue Artikulationsanweisungen für die Streicher. Jede einzelne Nummer in der  Kantate „Uns ist ein Kind geboren“ bekommt so ihr individuelles farbliches Gepräge, sei es durch den Tutti-Bläsersatz im Eingangschor, das Duettieren des Soprans mit Oboe, Flöte oder Fagott in Nummer 2, den virtuosen Einsatz der Solo-Trompete in Nummer 10 oder das gänzliche Weglassen der Bläser, um den besonderen Farbeffekt der sordinierten Streicher  umso stärker hervortreten zu lassen. Auf formaler Ebene begegnen vertraute konventionelle Da-Capo-Formen ebenso wie avanciert anmutende Versuche des Zusammenschlusses von Werkteilen. In dem vorliegenden Stück besonders auffällig in Arie Nummer 5 und dem sich attacca anschließenden Chor Nummer 6. Inhaltlich und formal gehören beide Stücke zusammen, denn der B-Teil des Textes, eigentlich der Arie zugehörig, wird durch den Chor übernommen. [...] Betrachtet man die Kirchenmusik sowie die überlieferten Trauer- und Festmusiken Agricolas zu höfischen Anlässen im Kontext der an St. Petri in den Jahren zwischen 1755 und seinem Tod 1774 aufgeführten Werke, dann wird sein Name und seine Musik Teil eines vielfältigen Spektrums von Komponisten und Werken, die erst zusammen Stil und Ästhetik der Kirchenmusik dieser Zeit beschreiben. Sie reiht sich ein in die dort aufgeführten Passionskompositionen und das „Te Deum“ von Carl Heinrich Graun, die Kantaten und Passionen Georg Philipp Telemanns, die Passionen Johann Heinrich Rolles und Johann Adolph Hasses „Te Deum“, die Ostermusik „Gott hat den Herrn auferwecket“ (Wq 244), das „Magnificat“ (Wq 215) und die „Passionskantate“ (Wq 233) von Carl Philipp Emanuel Bach sowie Passionskompositionen von Gottfried August Homilius. [...]

Aus dem Vorwort von Tobias Schwinger

 

 



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