Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek zu Dresden besitzt den weltweit größten Quellenbestand von Werken Tomaso Albinonis (1671–1751). Es handelt sich um rund dreißig Signaturen, die Autographe, zeitgenössische Abschriften und Frühdrucke umfassen. Ähnlich wie im Falle Antonio Vivaldis waren es in erster Linie persönliche Beziehungen zwischen dem venezianischen Komponisten und dem Dresdner Hof, die zu dieser einzigartigen Ansammlung von Quellen führten. Als der Kurprinz Friedrich August von Sachsen auf seiner Grand Tour zum zweiten Mal von 1716 bis 1717 in Venedig Station machte, wurde er von einigen Hofmusikern begleitet, unter denen sich besonders der Violinist Johann Georg Pisendel die Gunst italienischer Kollegen zu verschaffen wusste und keine Gelegenheit verstreichen ließ, sich die neueste Violinmusik abzuschreiben. Während Pisendels Freundschaft mit Vivaldi aus den Sekundärquellen verbürgt ist, kann seine Bekanntschaft mit Albinoni nur aus der Widmung einer Violinsonate und dem Vorhandensein von zwei weiteren autographen Sonaten des Venezianers in Dresden gefolgert werden. So wie der Kurprinz von seiner Reise zahlreiche Luxusgüter aus Italien nach Sachsen mitbrachte und nach seiner Thronbesteigung die Bestände der Dresdner Gemäldegalerie bedeutend bereicherte, führte Pisendel weitere höchst wertvolle Schätze in Form von Partituren italienischer Instrumentalmusik im Gepäck und sorgte für deren Aufführung durch die Dresdner Hofkapelle.
Als das alte Elbflorenz 1945 unter den britischen und amerikanischen Bomben zugrunde ging, konnte es nicht ausbleiben, dass auch viele bewegliche Kulturgüter – ob sie nun ausgelagert worden waren oder nicht – unwiederbringlich zerstört wurden. Zwar büßte die Sächsische Landesbibliothek einen großen Teil ihrer Bestände durch Abtransporte in die Sowjetunion ein, doch musste sie tatsächlich auch etliche Stücke als vernichtet oder schwer beschädigt abschreiben. Während Albinonis Autograph der Pisendel gewidmeten Violinsonate mitsamt den anderen im Tiefkeller des Japanischen Palais’ gelagerten Zimelien schwerste Wasserschäden erlitt, gingen damals vier Albinoni-Quellen gänzlich verloren: zeitgenössische Abschriften eines Konzerts, einer Kantate und einer Arie sowie ein Magnificat in einer Kopie des 19. Jahrhunderts. Der Verlust des singulär überlieferten Konzerts musste als besonders schmerzlich empfunden werden, da es nie ediert worden war.
Doch noch bevor die Zerstörungswelle des Zweiten Weltkriegs ihren Höhepunkt erreichte, hatte der italienische Musikforscher Remo Giazotto (1910–1998) begonnen, Material für eine groß angelegte Monographie über Tomaso Albinoni zu sammeln. Der von Hause aus wohlhabende Musikologe bediente sich der damals hochmodernen Reproduktionstechnik des Mikrofilms und ließ sich, um Reisen zu vermeiden, zwischen 1940 und 1943 aus ganz Europa Kopien aller Instrumentalwerke Albinonis zusenden. Nicht ahnend, dass er damit kostbares Quellenmaterial vor dessen Vernichtung dokumentiert hatte, veräußerte er seine Unterlagen, kurz nachdem er sie ausgewertet hatte. In den späten 1940er Jahren müssen bereits Kopien nach Giazottos Filmen zirkuliert haben, gelang es doch damals der Hessischen Landesbibliothek zu Darmstadt, ihre sechs Albinoni zugeschriebenen Sinfonien, die in der englischen Bombardierung 1944 mit tausenden weiteren Notenhandschriften des 18. und 19. Jahrhunderts verbrannt waren, in dieser Form wiederzubeschaffen. Im Februar 2010 glückte es dem Herausgeber nach dreijähriger Suche endlich, einen Mikrofilm in der Library of Congress zu Washington ausfindig zu machen, der fast alle für Giazotto in Darmstadt und Dresden angefertigten Albinoni-Fotogramme enthält, darunter auch das hier zum ersten Mal edierte Violinkonzert.
(aus dem Vorwort von Nicola Schneider)