»…das war ein Mensch, ein Künstler, ein Freund sonder Gleichen« schrieb Robert Schumann am 6. Februar 1835 an Theodor Töpken, einen befreundeten Rechtsanwalt in Bremen. Die Rede ist von Ludwig Schuncke (1810–1834), dem nahezu gleichaltrigen Pianisten, Komponisten und Mitbegründer der Neuen Zeitschrift für Musik. Als eine Marginalie zur Biographie seines berühmten Freundes ist Schuncke niemals ganz vergessen worden, doch erst das vor ca. 40 Jahren langsam wieder erwachte Interesse am Umfeld der großen romantischen Meister hat auch die schmale kompositorische Hinterlassenschaft dieses mit 23 Jahren verstorbenen Musikers wieder ins Bewusstsein der Musikwelt gerückt. [...]
Nur drei Kammermusikwerke sind von Ludwig Schuncke überliefert: ein Duo concertant (Grand Duo) F-Dur für Klavier und Horn , eine Sonate c-Moll für Klavier und Violine und die hier erstmals publizierten Leichten kleinen Variationen über »Ah vous dirai-je Maman« für Klavier und Violine. Alle drei Werke, die sich noch stark an klassischen Vorbildern orientieren, dürften in den Stuttgarter Jahren (1815–1827 und 1830–1832) entstanden sein; sie sind im Gegensatz zu den in seinen letzten Lebensjahren und kurz nach seinem Tod gedruckten Klavierwerken gänzlich frei von hohler und pompöser Brillanz. Als Werke eines hochbegabten jungen Pianisten und Komponisten, dessen früheste erhaltene Kompositionen im Alter von acht Jahren geschrieben wurden, zeigen sie eine bemerkenswerte Originalität, jugendliche Frische und zugleich technische Sicherheit. Dies gilt besonders für die Variationen über »Ah vous dirai-je Maman« für Klavier und Violine, die sehr wahrscheinlich durch Mozarts berühmte, im frühen 19. Jahrhundert in vielen Ausgaben verbreitete Variationen für Klavier über dasselbe Thema (KV 265/300e) angeregt wurden. Dabei verfiel Schuncke aber keineswegs in ein blasses Epigonentum oder eine sklavische Stilkopie. Auffallend ist vielmehr ein spielerisch-ironischer Umgang mit dem extrem schlichten Thema, das in jeder der fünf Variationen in einer gänzlich anderen Beleuchtung erscheint und dabei teilweise kaum noch zu erkennen ist. Schon die nur sechs Takte umfassende Introduktion, die sich kurz dramatisch aufplustert, steht in einem beinahe grotesken Kontrast zu dem zunächst nur zweistimmig gesetzten Thema. Von den Variationen stehen zwei in Moll, wobei die fünfte und letzte (Più lento, con espressione) als eine ganz freie stille Paraphrase erscheint, die elegant zwischen C-Dur und c-Moll changiert.
Aus dem Vorwort von Joachim Draheim