Mit rund fünfzig überlieferten Werken markiert das Konzertschaffen einen der Schwerpunkte im kompositorischen Œuvre Johann Wilhelm Hertels (1727–1789). Dabei erweist es sich als ein auffallendes Merkmal dieses Schaffensbereichs, dass der Komponist nahezu alle in Betracht kommenden Instrumente mit Solokonzerten bedacht hat: Die stärksten Gruppen bilden die Konzerte für Cembalo (14), für Oboe (10) und für Violine (9); dazu kommen je drei Solokonzerte für Harfe (Alternativbesetzung Cembalo), Flöte, Fagott und Trompete, zwei Violoncello-Konzerte und ein Doppelkonzert für Trompete und Oboe. Dass nicht alle Konzerte (die mit Ausnahme eines 1767 gedruckten Cembalokonzerts nur im Manuskript vorliegen) erhalten sind, ergibt sich aus einzelnen Angaben in dem vom Komponisten selbst verfassten Werkverzeichnis, das sechs Violoncello-Konzerte und auch „einige Concerte“ für „Waldhorn“ anführt.
Für Orgel hat Hertel allem Anschein nach nur ein einziges Konzert geschrieben. Dieses hier vorgelegte Werke verdient allein deshalb Aufmerksamkeit, weil der Komponist es für „seinen“ Herzog komponiert und es ihm gewidmet hat. Es ist dies Herzog Friedrich „der Fromme“ von Mecklenburg-Schwerin, unter dessen Regentschaft (1756–1785) sich die von ihm neu geschaffene Residenz Ludwigslust zu einer weithin berühmten Pflegestätte geistlicher Musik entwickelte. Er selbst muss über eine hohe musikalische Bildung und über respektable Fertigkeiten als Cembalist verfügt haben. Seit den Kindheitstagen auf dem Tasteninstrument unterwiesen, hatte er während seiner Kavalierstour – vor allem während des Paris-Aufenthalts 1738/39 – vielfältigen Umgang mit Musikern gepflegt, sein Spiel auf dem Cembalo vervollkommnet und an privaten Konzert-Aufführungen mitgewirkt. Hertel hebt in seiner Autobiographie die „tiefe Einsicht in alle Künste und Wissenschaften, besonders in die Musik“, hervor und vermerkt ausdrücklich, dass „Sr: Durchlaucht der Herzog“, der „von Jugend auf das Clavier gespielet“, „meisterhaft accompagnirten“. Bereits 1755 hatte der Komponist dem damaligen Erbprinzen Friedrich seine bei Haffner in Nürnberg als op. 1 gedruckten Sei Sonate per Cembalo gewidmet.
Das Orgelkonzert ist in einem in der Musikaliensammlung Schwerin aufbewahrten handschriftlichen Stimmensatz überliefert, dessen Solostimme Hertel selbst geschrieben und mit einem Widmungstitel versehen hat (siehe Faksimile 1). Das Manuskript trägt keine Jahreszahl, doch spricht nahezu alles dafür, dass als Zeitpunkt der Entstehung des Werkes die frühesten Jahre der Regentschaft Friedrichs – genauer: 1756–57 – anzusetzen sind. Durch das Ausscheiden Hertels aus seinem Amt als Hof- und Capell-Componist 1767 engt sich der mögliche Entstehungszeitraum von vornherein auf das erste Drittel der Regierungszeit Friedrichs ein, und diese Zeitspanne reduziert sich noch dadurch, dass Ende 1757 der Siebenjährige Krieg auch auf Mecklenburg-Schwerin übergriff und bis Mai 1762 den Herzog mehrmals in die Emigration trieb. Die Kriegswirren legten, so Hertel, der „Musik […] ein trauriges Stillschweigen auf“. Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der für die Entstehung des Orgelkonzerts noch in den 1750er Jahren spricht: die durch eine Zahlungsanweisung vom 14. Juli 1753 belegte Anschaffung einer Kammerorgel (̣„Hausorgel“) für den Erbprinzen. Das vom Rostocker Orgelbauer Paul Schmidt für 600 Reichstaler gebaute Instrument, über das nähere Angaben nicht vorliegen, wurde zuerst vielleicht in dem von Herzog Christian Ludwig II. als Nebenresidenz genutzten Palais in Rostock aufgestellt, dann aber gewiss ins Schweriner und später ins Ludwigsluster Schloss umgesetzt. Auf jeden Fall ist durch die 1753 erfolgte Anschaffung dieses Instruments für Mitte der 1750er Jahre eine Beschäftigung Friedrichs mit dem Orgelspiel bezeugt.
(aus dem Vorwort von Karl Heller)