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om13 / Band 4
Johann Gottlieb Naumann (1741–1801)
Zeit und Ewigkeit (Ludwigslust 1783)
Kantate
für Soli und Chor (SATB), 2 Fl, 2 Ob, 2 Fg, 2 Hr, 2 Trp, Pk, Str und Bc
Herausgegeben von Ekkehard Krüger und Tobias Schwinger
Einleitung von Ortrun Landmann
 
Dauer: ca. 60 min
om13
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Nach Johann David Heinichen (amtierend von 1717 bis zu seinem Tod 1729) und Johann Adolf Hasse (1731/1734 bis 1764) war Johann Gottlieb Naumann der dritte unter den großen Dresdener Hofkapellmeistern des 18. Jahrhunderts. In der schwierigen Zeit nach dem für Sachsen verheerenden Siebenjährigen Krieg und zugleich in einer Zeit der stilistischen Neuorientierung hat Naumann Entscheidendes geleistet, um der Dresdener höfischen Musikpflege jenen hohen Rang erneut zu sichern, den sie damals schon seit mehr als zwei Jahrhunderten behauptete. Johann Gottlieb Naumann wurde am 17. April 1741 im östlich von Dresden gelegenen Fischerdorf Blasewitz als Kind eines Häuslerpaares geboren. Er besuchte auf der gegenüberliegenden Elbseite die Dorfschule in Loschwitz und soll dort bereits beim Gottesdienst die Orgel gespielt haben. Seinen Eltern, die ihn ein Handwerk erlernen lassen wollten, trotzte er den Besuch einer Dresdener Lateinschule ab, wo ihm die Tradition der evangelischen Kirchenmusik gründlich vermittelt worden sein wird. Ein selbsternannter „Gönner“ erbot sich 1756, den Jungen nach Italien mitzunehmen und dort ausbilden zu lassen. Diesem Abenteurer konnte sich der Knabe entziehen und in Padua Schüler des berühmten Giuseppe Tartini werden. Anschließend erlangte er noch in Bologna den Unterricht des Padre Giovanni Battista Martini sowie in Venedig denjenigen Johann Adolf Hasses. Als Naumann über sieben Jahre später, mit Empfehlungsschreiben seiner Lehrer versehen, in die Heimat zurückkehrte, waren der Siebenjährige Krieg überstanden, König August III. von Polen und auch sein Sohn, Kurfürst Friedrich Christian von Sachsen, begraben und der Oberkapellmeister Hasse infolge der allgemeinen großen Notlage verabschiedet worden. Ohne angemessene Musikpflege konnte und wollte der Dresdener Hof aber nicht sein. Der junge, vielversprechende Naumann erhielt 1764 für ein kleines Gehalt das Amt eines „Kirchen-Compositeurs“ (erster Inhaber dieser Position ist Jan Dismas Zelenka gewesen) und hatte somit, neben Johann Georg Schürer, die katholischen Hofkirchenmusiken zu leiten und für sie zu komponieren. Schon 1769 debütierte er in Dresden auch mit einer italienischen Oper, einem Auftragswerk zur Hochzeit des jungen Kurfürsten Friedrich August III., seines lebenslangen Dienstherren (später als König: Friedrich August I. von Sachsen). Zwei weitere Italien-Aufenthalte (1765–1767 und 1771–1774) bewilligte ihm der Hof – nun weniger des Lernens als des (wohlbezahlten) Produzierens halber, denn Naumann bekam Aufträge zur Opernkomposition von Venedig bis Palermo. Durch Vermittlung des schwedischen Gesandten am Dresdener Hof wurde Naumann durch König Gustav III. 1777–1778 und erneut 1782–1783 nach Stockholm gerufen, um dort eine Hofkapelle nach Dresdener Vorbild aufzubauen und mit ihr eigene Werke aufzuführen. Unter diesen ragten die Opern „Amphion“, „Cora och Alonzo“ und „Gustaf Vasa“ hervor, deren letztere zur schwedischen Nationaloper avancierte. Für Naumann selbst wurden die Schweden-Aufenthalte besonders wichtig durch die Begegnung mit den neuen französischen Opernströmungen, repräsentiert durch Pierre-Alexandre Monsigny, Christoph Willibald Gluck, Nicola Piccini und André-Ernest-Modeste Grétry. Naumann empfing daraus Anregungen für sein eigenes weiteres Schaffen. Auch aus Kopenhagen erreichten Naumann Angebote. Hier, wo man ihn gern fest angestellt hätte, reorganisierte er 1785-1786 ebenfalls das Orchester und brachte unter anderem seine Oper „Orpheus og Eurydike“ zur Aufführung. Seit 1776 in Dresden Hofkapellmeister, ab 1786 leitender Hofkapellmeister mit günstigsten Bedingungen, widerstand Naumann allen Abwerbeversuchen, auch von Seiten des preußischen Hofes. Sein letztes Werk war die 1801 entstandene frühromantischen Oper „Aci e Galatea“. Er starb am 23. Oktober 1801.

Naumann hinterließ ein vielseitiges Lebenswerk. Hervorzuheben sind seine italienischen Opern für Italien, Dresden und Berlin, nicht minder die Bühnenwerke auf schwedische und dänische Texte für Stockholm und Kopenhagen. Hinzu kommen sein umfangreiches Schaffen für die Dresdener Katholische Hofkirche, bedeutende Liedschöpfungen und anderes mehr. Einen Höhepunkt seines Schaffens bildet die große Kantate Vater unser für Soli, zwei Chöre und Orchester auf einen Text von Klopstock (1798). Sie hielt sich über viele Jahrzehnte im Repertoire großer Chorvereinigungen des In- und Auslands. Die Kantate, die Naumann ohne Auftrag schrieb, bildet eine Art ideellen Höhe- und Schlußpunkt seiner für einen norddeutschen Hof geschaffenen Werke. Auf seiner ersten Reise nach Schweden hatte Naumann, mehr zufällig, in der Mecklenburg-Schweriner Residenz Ludwigslust Station gemacht. Hier lernte er eine Art von Musikpflege kennen, zu der es damals am Dresdener Hof keine Parallele gab, nämlich die vom Herzog Friedrich dem Frommen begründeten, mit kleinbesetzter Hofkapelle veranstalteten Concerts spirituels. Diese widmeten sich dem Bereich der evangelisch-lutherisch geprägten Erbauungsmusik. Naumann wurde eingeladen, dazu Beiträge zu liefern. Die fünf Werke (zwei Psalm-Vertonungen und drei Kantaten), die er zwischen 1778 und 1794 für Ludwigslust schuf, dürften insgesamt zum Besten zählen, was an Auftragswerken für den Ludwigsluster Hof komponiert worden ist.

Der Kantate Zeit und Ewigkeit (1782/83), Naumanns zweitem Werk für die mecklenburgische Residenz, war ein lang anhaltender, später nicht mehr übertroffener Erfolg beschieden. Zu den zahlreichen Aufführungen reisten die Besucher auch von fern her an. Freilich dürften die Wiedergaben, deren erste vom Komponisten selbst geleitet wurden, im Laufe der Zeit eine interpretatorische Perfektion erlangt haben, die zu jener Zeit noch nicht üblich war und somit den Hörern einen besonderen Genuß bescherte. Doch wurde diese Voraussetzung auch anderen Werken Naumanns wie denen weiterer Komponisten des Ludwigsluster Repertoires zuteil, ohne eine vergleichbare Wirkung zu erzielen. Worauf also beruhte der beispiellose Erfolg der Kantate Zeit und Ewigkeit? Als zwingend hierfür müssen zum einen Naumanns enorme Intensität der Textgestaltung, zum anderen die musikalische Konzeption als solche geltend gemacht werden, die voll emotionaler Tiefe ist und, bei aller Bindung an traditionelle Kontrapunktik und an den souverän gehandhabten Kirchenliedsatz, eine Menge neuer, in sich geschlossener musikalischer „Erfindungen“ birgt, welche stilistisch bereits in das 19. Jahrhundert zu gehören scheinen. Naumann gelang darüber hinaus ein sehr einheitliches, in sich geschlossenes und für das Publikum leicht rezipierbares Werk. Die Schönheiten der Musik, in Verbindung mit der vorzüglichen Textbehandlung, erschlossen sich nicht nur den Musikkennern. Zudem fühlte sich das Publikum von Anfang an durch den Textgegenstand persönlich berührt: die Darstellung der Sorglosigkeit des „Weltkindes“, solange das Alter noch fern ist; die der allmählich einsetzenden Besinnung auf das Lebensende; die der Bitte um Erlösung im Tod, der schließlich als solche empfunden wird.

Der Librettist des Werkes, Henrich (Heinrich) Julius Tode, wurde am 31. Mai 1733 in Zollenspieker bei Bergedorf, in den Vierlanden südöstlich von Hamburg, geboren. Nach einem Theologiestudium in Göttingen wirkte er jahrzehntelang als Seelsorger im mecklenburgischen Pritzier (bei Hagenow) und anschließend in Schwerin als Dom- und Hofprediger sowie als Superintendent. Hier starb er am 30. Dezember 1797. Überregional bekannt wurde er unter anderem durch botanische Forschungen. Nachdem Herzog Friedrich der Fromme auf den Kirchenlieddichter Tode aufmerksam geworden war, erhielt dieser im Laufe der Zeit von Friedrich und von seinem Nachfolger Friedrich Franz Aufträge zur Lieferung von Kantatentexten. Für deren Vertonung wurden sowohl Komponisten der Hofkapelle, wie Johann Wilhelm Hertel, Carl August Westenholtz, Antonio Rosetti, als auch auswärtige Musiker, bevorzugt der Weimarer Hofkapellmeister Ernst Wilhelm Wolf, der Berliner Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt und der Dresdener Johann Gottlieb Naumann, herangezogen. Erreicht die dichterische Qualität von Todes Texten sicher nicht den höchsten Rang, so sprechen für sie eine sehr klare, „predigende“ Aussage und das Vermeiden jeglicher Trivialität. Der Ernst der theologisch fundierten Botschaft ist jederzeit erkennbar. Zudem bezieht Tode originale Bibeltexte sowie die Texte von Kirchenliedern ein, die auf ihre Weise literarische Qualität einbringen. – Die Verbindung aller dieser Elemente erscheint in dem Text zu Zeit und Ewigkeit als besonders geglückt. Einem für die Qualität von Texten und ihre Ausdeutung so sensiblen Komponisten wie Naumann blieb die besondere Eigenart dieses Textes nicht verborgen. So nahm er die erste Todesche Vorlage wie auch die zwei später folgenden bereitwillig an und ließ sich von ihnen zu Tonschöpfungen inspirieren, die im Verein mit den beiden für Ludwigslust geschaffenen Psalm-Vertonungen ein trotz ihrer geringen Zahl gewichtiges Kapitel im Naumannschen Gesamtwerk bilden. Hervorzuheben ist bei den Kantaten – besonders bei „Zeit und Ewigkeit“ – die Gestaltung der „Rezitative“, die dieser Bezeichnung bereits überwiegend entgleiten. Naumann lehnt sich an das französische „Récitatif mésuré“ an, das er in Stockholm kennengelernt hatte. Unter Einbeziehung von Dreiertakt, kantablen Gesangs- und obligaten Instrumental-Partien erfüllt Naumann mit diesen Rezitativ-„Ariosi“ in idealer Weise das Anliegen des Textdichters. Das „lyrische Ich“ wird in Rezitativen und Arien auf alle Solisten verteilt. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen der irdischen Befangenheit des Menschen und der Unausweichlichkeit des Todes. Die Spannung wird in der christlichen Erlösungshoffnung aufgehoben. […] Hinzu kommt, daß der mit den Ludwigsluster Musizierbedingungen vertraute Komponist präzis auf das unterschiedliche Leistungsvermögen der einzelnen Musiker und Sänger einging. Um 1783 verfügte die Ludwigsluster Kapelle über 11 Sängerinnen und Sänger, 11 Streicher, 8 Bläser (bei Bedarf außerdem 2 Trompeter und 1 Pauker), dazu über 1 Continuo-Spieler und den Kapellmeister. Bei näherem Hinsehen bemerkt man, daß Naumann den Streichern sehr viel abverlangt, den Bläsern erheblich weniger, und daß er die – auch die Chorsätze bestreitenden – Sänger mit offenbar „maßgeschneiderten“ Partien ausstattet. Naumann selbst zeigte sich nach dem (vorübergehenden) Ausscheiden der Koloratursopranistin Felicitas Benda in einem Brief befriedigt darüber, die dieser Sängerin geschuldeten „Gurgeleien“ in künftigen Kompositionen fortlassen zu können. Somit verwundert es, daß er 14 Jahre später bei seiner Überarbeitung der Partitur für eine Aufführung in Dresden die Koloratur-Abschnitte der Arie „Auf, auf, er kommt“ nur geringfügig mäßigte, anstatt sie ganz zu streichen. Diese Arie hat in der Werk-Disposition eine wichtige Funktion zu erfüllen: auf eine für die damalige Zeit wohl einmalige Weise markiert sie den Ausgangspunkt für eine Steigerung bis zum Schluß, die den Höhepunkt des Werkes bildet. Von dieser Sopran-Arie an werden alle Folgesätze nahtlos aneinandergefügt: der figurierte Kirchenliedsatz „Herr, Herr, wir warten auf dein Heil“, das Baß-Arioso „Siehe, ich komme bald“ und die Chor-Fuge mit Baß-Solo „Amen ja, komm, Herr Jesu“.

Die Edition eines Hauptwerkes wie „Zeit und Ewigkeit“ gibt die Gelegenheit, einen Komponisten zu entdecken, dessen Wirkungsfeld sich von Italien bis Skandinavien erstreckte, der heute aber kaum noch dem Kenner vertraut ist. Will man erfahren, was in Dresden in der Spätzeit Hasses, was in Norddeutschland während des erwachenden Interesses für Mozart kompositorisch möglich war, muß auch der Name Naumanns genannt werden. In der Komposition von „Zeit und Ewigkeit“ ist zu erleben, wie ein neuer, liedhafter Ton sich ohne Verzicht auf die Virtuosität des Sängers mit einer bis dahin unerhörten Behandlung des Instrumentariums in den Dienst einer Dichtung stellt, die den Weg von der Vergänglichkeitsfurcht zur Erlösungshoffnung schildert.

(Vorwort von Ortrun Landmann)

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