Der aus Böhmen stammende Komponist Antonio Rosetti hatte sich während der Zeit in Diensten des Fürsten von Oettingen-Wallerstein einen Namen gemacht. Hauptsächlich auf dem Gebiet instrumentaler Musik, mit zahlreichen Sinfonien, Konzerten für ein und zwei Hörner oder andere Instrumente und Partiten für die damals sehr beliebte Harmoniebesetzung war Rosetti weit über seinen Wirkungsort hinaus bekannt. Seine Werke wurden, gleich denen Wolfgang Amadé Mozarts und Joseph Haydns, bei den Pariser Concerts spirituels aufgeführt.
Heute weniger bekannt sind Rosettis Vokalwerke. Innerhalb der Forschung ist sein 1776 entstandenes Requiem vor allem präsent, da es 1791 zur Prager Gedenkfeier für den verstorbenen Mozart aufgeführt wurde. In dessen Nachlass befand sich Rosettis erstes, 1785 komponiertes und bei Artaria gedrucktes Oratorium.
Ein Jahr nach dem 1789 vollzogenen Wechsel in den Dienst Herzog Friedrich Franz’ I. von Mecklenburg-Schwerin entstand in Ludwigslust das zweite Oratorium des Komponisten: Jesus in Gethsemane nach dem Libretto des Hofpredigers Heinrich Julius Tode. Bereits die Verwendung des Textes dieses einflussreichen und maßgebenden Verfassers geistlicher Dichtung stellt Rosettis Werk in den Kontext der norddeutschen Oratorientradition protestantischer Prägung. Ungewöhnlich und besonders bemerkenswert ist die inhaltliche Fokussierung auf die Situation des an Gründonnerstag im Garten Gethsemane betenden und ringenden Heilandes als alleinigem Handlungszentrum eines Oratoriums. Die vor Ort gegebenen Möglichkeiten hervorragender musikalischer Kräfte nutzte Rosetti, um mit dieser umfangreichen Vokalkomposition eines seiner Hauptwerke zu schaffen, und vielleicht verhinderte lediglich der frühe Tod des Komponisten den Druck. Chöre mit subtiler kontrapunktischer Arbeit und Choräle mit großem dramatischem Zug stehen neben reich konzertierenden Arien und ausdrucksstark gestalteten Rezitativen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich das Werk in Ludwigslust noch gut zwei Jahrzehnte nach dem Ableben des Komponisten im musikalischen Programm der Karwoche halten konnte. Inzwischen wird die Bedeutung des Oratoriums immer mehr erkannt; der Präsident der Internationalen Rosetti-Gesellschaft, Johannes Moesus, hat Jesus in Gethsemane in den vergangenen Jahren nach dem originalen Aufführungsmaterial mehrfach dirigiert und 2006 eine Einspielung vorgelegt. (R. Biener)