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om248 / Band 38
Tobias Zeutschner (1621-1675)
Musicalische Kirchen- und Haus-Freude
Zehn geistliche Konzerte
für drei bis sechs Singstimmen, zwei bis sieben Instrumentalstimmen und Basso continuo
Herausgegeben von Hendrik Wilken

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om248
979-0-502341-10-7
Partitur, Broschur, XXXIII + 205 Seiten
inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten 59,50 EUR

Unter den schlesischen Barockkomponisten finden sich nur wenige, deren musikalisches Wirken über die Landesgrenzen hinaus Verbreitung fand. Tobias Zeutschner (1621-1675), dessen vielfältiges Schaffen sich auf Breslau, das heutige Wrocaw, konzentriert, ließ etliche seiner Werke vorwiegend in Schlesien, aber auch in Sachsen drucken. Die in zahlreichen europäischen Bibliotheken und Archiven erhaltenen kirchenmusikalischen Kompositionen demonstrieren die Bekanntheit seiner gegenwärtig kaum rezipierten Kirchenmusik im späteren 17. Jahrhundert. […]
Von 1643 bis 1649 war Zeutschner in Oels Ratsherr und Organist an der Schlosskirche.[1] Einer Eingabe an die Stadt Oels von 1645 ist zu entnehmen, dass er eine Familie hatte, aber unter schwierigen Verhältnissen lebte: „Indem nicht allein meine Besoldung gäntzlich stecken bleibt, dass Ich deroselbten nicht habhaft werden Kan, wie sehr ich auch derer benötigt bin, [...] vnnd ist wenig oder nichts zu verdienen, daß also solcher gestalt (Gott ist mein Zeuge) ich nicht weiß wie ich mich mit Weib vnd Kind in die Längen erhalten sol, wo Gott nicht sonderliche Mittel an die Hand giebt.“[2] Die wenigen persönlichen Dokumente von Zeutschners Hand, die Reinhold Starke ungekürzt in seinem Aufsatz veröffentlichte, sind vermutlich infolge des Zweiten Weltkriegs verschollen.
Im Jahr 1648 bewarb sich Zeutschner in Breslau um das Amt des Organisten zu St. Bernhardin in der Neustadt. […] Am 4. Mai 1649 wurde Zeutschner ins Organistenamt eingeführt.[3] Ihm stand eine Orgel mit 18 Registern zur Verfügung, die Apelles von Löwenstern 1641 der Kirche gestiftet hatte.[4] In die Zeit an St. Bernhardin fallen Zeutschners erste veröffentlichte musikalische Werke, aus denen die Decas Prima oder Musicalischen Fleisses erster Theil gewissermaßen als Vorläufer der Musicalischen Kirchen- und Haus-Freude herausragt.
[…] Zeutschner wechselte am 8. Oktober desselben Jahres an die Kirche St. Maria Magdalena. Sie war, neben St. Elisabeth am Großen Ring, von der Reformation an bis 1945 die wichtigste protestantische Kirche der Stadt. […] Zeutschner bekleidete das Amt des Organisten an St. Maria Magdalena rund zwanzig Jahre lang. Am 15. September 1675 verstarb er in Breslau.
Unter den gedruckten Sammlungen Zeutschners stellt die Musicalische Kirchen- und Haus-Freude, besonders im Vergleich zur Decas Prima, die umfangreichste Veröffentlichung dar, obwohl allen seinen Drucken gemein ist, zehn Werke zu enthalten. Die Spanne zwischen klein besetzten geistlichen Konzerten und umfangreichen Festmusiken in der Musicalischen Kirchen- und Haus-Freude spiegelt sich im Namen wider. Die Hausmusik war im 17. und 18. Jahrhundert Ausdruck häuslicher Frömmigkeit, die sich nach der Reformation in der verstärkten privaten Religionsausübung u.a. in Form von Hausandachten manifestierte.[5] Der Druck ist das erste Werk, das Zeutschner als Hausmusik ausweist. Nur wenige Jahre später folgten seine zwei Liedersammlungen für Cantus und Bassus Continuus, Musicalischer Hausandacht erstes [anderes] Zehen, gedruckt 1667 bzw. 1670 in Brieg (Brzeg). Zeutschners Hinwendung zur auf Schlichtheit bedachten Hausmusik ist Ausdruck einer protestantischen Frömmigkeit, die schon Züge des späteren Pietismus zeigt. Dabei lassen sich sowohl die beiden Drucke der Musicalischen Hausandacht als auch die mehrstimmige Musicalische Kirchen- und Haus-Freude als Teil privater Musikpflege betrachten. […]
Zeutschner pflegte jedoch den modernen italienischen konzertierenden Stil, der eine profunde Kenntnis der italienischen Musik bedingte. Der an der Breslauer Elisabethkirche wirkende Organist Ambrosius Profe (1589–1661) veröffentlichte noch vor Ende des Krieges, zwischen 1641 und 1643, vier Anthologien unter dem Titel Geistliche Concerte und Harmonien, in denen er ausgewählte Werke verschiedener Komponisten herausgab.[6] Diese Kompositionen entnahm Profe diversen Drucken, die in den 1620er Jahren in Italien erschienen waren. Nach Peter Wollny sind „Profes Anthologien […] kaum zu überschätzen“[7], da er mit seinen Veröffentlichungen wesentlich zur Neuordnung der Kirchenmusik am Ende des Krieges beitrug. Die Popularität seiner Anthologien, in deren direkter Nachfolge die nicht minder bedeutsamen Drucke Johann Havemanns (1624 – um 1697) in Berlin stehen,[8] führte zu einer raschen Adaption der modernen italienischen Musik in den protestantischen deutschen Regionen. […]
Zeutschners Musik verweist insgesamt weniger auf römische als auf venezianische Vorbilder, unter denen neben Monteverdi auch dessen Zeitgenosse Alessandro Grandi (1577–1630) genannt sei, deren Musik zudem in entscheidendem Maße durch die Werke von Heinrich Schütz im deutschen protestantischen Raum rezipiert wurde.[9] Unterschiede äußern sich auch in der musikalischen Gestaltung: Während die lateinischen Kompositionen, insbesondere die Nummern VII, IX und X, sich durch festlichen Charakter, ausgedehnte Koloraturen und nicht selten polyphon angelegte Strukturen auszeichnen, sind die deutschsprachigen Werke mehr auf Farbigkeit und ein solistisches Hervorheben der einzelnen Stimmen im eher homophonen Vokalpart bedacht. Die Vorbilder sind in diesen Stücken weniger eindeutig auszumachen, doch zeigt ein Vergleich mit seinen Zeitgenossen Parallelen, so beispielsweise zu Andreas Hammerschmidt, der nachweislich Kontakte nach Breslau hatte.[10] Während Zeutschners konzertierender Stil weniger auf die Musik von Heinrich Schütz und seiner Zeitgenossen als auf italienische Komponisten verweist, pflegt er dennoch Traditionen der vorangegangenen Generation. Dazu zählt beispielsweise die Rolle des Tenors, dem die solistischen Partien allein obliegen; dass das Konzert HErr/ hebe an zu segnen das Haus davon abweicht, dürfte an dem oben genannten Hintergrund des Stückes liegen, da die Hochzeitsmusik für vier Solisten komponiert wurde. Zugleich greift Zeutschner aber auch die neueren Strömungen auf, in denen die Außenstimmen verstärkt werden; er verbindet folglich konservative Praktiken, wie die Dominanz des Tenors, mit aktuellen Klangidealen. Zeutschners Werke in der Sammlung Gustav Dübens (1628–1690) sind ein anschauliches Beispiel dafür, dass zur gleichen Zeit am schwedischen Hof moderner musiziert wurde, denn in den schwedischen Abschriften wurden sämtliche Soli in den Cantus übertragen.
Die Behandlung der Instrumente, vorwiegend der Violinen, erfolgt im konzertierenden Sinne. Sie sind im Solo überwiegend in parallelen Terzen geführt und imitieren zumeist den oder die Sänger. Nur selten setzen die Violinen zu größer angelegten Zwischenspielen an, wie sie z.B. im Lauda Jerusalem zu finden sind. Die Trombonen werden colla parte mit den Sängern im Tutti geführt, lediglich im Resonent Organa und dem Te Deum übernehmen sie darüber hinaus eigenständige Funktionen, wodurch sie in letzteren, im Gegensatz zu allen übrigen, in denen sie verlangt werden, obligat sind. Gleiches gilt für die Sinfonien. Diese sind kürzere, nur selten länger ausgeführte Stücke, deren musikalisches Material nicht aus den nachfolgenden Konzerten stammt, jedoch deren Duktus im Wesentlichen entspricht. […]
Die Auswahl der vertonten Texte ermöglicht eine vielseitige Verwendung der Stücke im Kirchenjahr. Insbesondere die lateinischen Konzerte finden mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten: Das Laudate Dominum ist Bestandteil der Vesper, das Lauda Jerusalem des Morgengebets, der sog. Laudes. Das Te Deum ist zumeist Teil großer kirchlicher Feste, worauf auch die prächtige Besetzung verweist. Unter den deutschsprachigen Werken seien zwei Konzerte besonders hervorgehoben: zum einen das Konzert Gott sey mir gnädig, welches in kirchlichen Bußzeiten musiziert werden kann, und zum anderen das Konzert Es erhub sich ein Streit, das für den Michaelistag, den 29. September, komponiert wurde. Es sind die einzigen deutschsprachigen Kompositionen der Musikalischen Kirchen- und Haus-Freude, die sich im Kirchenjahr auf ein Fest bzw. auf bestimmte Zeiten fixieren lassen. Die anderen drei Stücke sind im kirchlichen Gebrauch offener. Es ist, im Hinblick auf die Hausmusik, auffallend, dass gerade die erste Hälfte des Druckes von deutschsprachigen Werken geprägt ist. Denn besonders diese geringer besetzten Stücke, die zudem nicht zwangsläufig der Trombonen bedürfen, eignen sich für die Hausmusik wesentlich besser als die größeren lateinischen Kompositionen und das Es erhub sich ein Streit, das in kleiner Besetzung an Effekt verliert.

 (Aus dem Vorwort von Hendrik Wilken)

 

[1]  Vgl. Paulina Halamska, „The Activity of Tobias Zeutschner (1621–1675) at St. Mary Magdalene Church in Wrocław: a Composing Career in Protestant Breslau“, in: Musicology Today 6 (2009), S. 153–177, hier S. 160.
[2]  Zit. nach Starke 1900, S. 198.
[3]    Vgl. Thomas Napp, Art. „Tobias Zeutschner“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 17, hrsg. von Ludwig Finscher, Kassel 2007, Sp. 1438.
[4]    Die Orgel verfügte über zwei Manuale und Pedal. Die Manuale ließen sich koppeln. Das Instrument war die „mittlerste Orgel“ der Bernhardinerkirche; die Hauptorgel auf der Empore verfügte über 31 Register bei ebenfalls zwei Manualen und Pedal. Vgl. Wolf Bergelt (Hg.), Sammlung einiger Nachrichten von berühmten Orgel-Wercken in Teutschland […]. Ein Beitrag zur Orgelbaugeschichte, Berlin 2014, S. 16 f. (Dokumente der Orgelwelt 8).
[5]    Vgl. Susanne Schuster, „‚aus sonderbarer Beliebung deß Gottesdienstes und beliebicher Ubung der Hauß=music‘ – Frömmigkeit und Hausmusik in der Frühen Neuzeit“, in: Hausmusik im 17. und 18. Jahrhundert. XXIX. Wissenschaftliche Arbeitstagung Michaelstein, 23. bis 25. November 2012, hrsg. von Christian Philipsen in Verbindung mit Ute Omonsky, Augsburg und Michaelstein 2016, S.19–29, hier S. 20 f.
[6]    Vgl. ebd., S. 33.
[7]    Ebd., S. 33.
[8]    Vgl. ebd., S. 35 f. Johann Havemann war Kantor des Joachimsthalschen Gymnasiums zu Berlin. Er veröffentlichte 1659 ein Anthologie unter dem Titel Erster Theil Geistlicher Concerten, Mit 1. 2. 3. 4. 5. 6. und 7. Stimmen, theils mit, theils ohne Instrumenten nebst ihrem gewöhnlichen Basso Continuo [...] Aus den berühmtesten, Italiänischen und andern Autoribus. Die Ähnlichkeit zu Profes Breslauer Anthologien ist offenkundig, jedoch finden sich bei Havemann auffällig viele unbekannte Werke italienischer bzw. süddeutscher Komponisten. Havemanns Anthologien waren im Vergleich mit denen Profes weniger erfolgreich, was nicht zuletzt auf ihren zum damaligen Zeitpunkt für Musikalien wenig lukrativen Verlagsort Berlin bzw. Jena zurückzuführen ist. Daher erschienen die im ersten Teil angekündigten Folgebände nicht. Siehe auch die Edition: Erster Theil Geistlicher Concerten (Berlin/Jena 1659). Sammeldruck des Berliner Domkantors Johannes Ha-vemann, hrsg. von Ekkehard Krüger mit einem Vorwort von Peter Wollny, Beeskow 2009 (Musik zwischen Elbe und Oder 13).
[9]    Vgl. ebd., S. 156 ff.
[10]   Andreas Hammerschmidt komponierte anlässlich der Wiedereinweihung der 1649 teilweise eingestürzten St. Elisabeth-Kirche ein geistliches Konzert über den 84. Psalm, Wie lieblich sind deine Wohnungen.

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