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Musik zwischen Elbe und Oder Bd. 43
om286
Johann David Heinichen (1683 - 1729)
Due Cantate al Sepolcro di nostro Signore
Come? s’imbruna il ciel! Occhi piangete! (1728) / L’aride tempie ignude (ca. 1724)
für Soli (SATB), 2 Fl, 3 Ob, Streicher und Bc
Herausgegeben von Michael Heinemann
om286
ISMN 979-0-502342-16-6
Hardcover, XVI + 81 Seiten
inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten 65,00 EUR

Die Passionsmusiken, die Johann David Heinichen für den Dresdner Hof schrieb, sind Dokumente kultureller und konfessioneller Offenheit der sächsischen Residenz. Heinichen, 1683 im sächsischen Krössuln geboren, war lutherisch sozialisiert worden; er hatte zunächst die Leipziger Thomasschule besucht und bei Johann Schelle und Johann Kuhnau gelernt, bevor ihn der Weg als Hofmusiker und Opernkomponist nach Zeitz führte. Um das Metier des Musiktheaters noch intensiver zu studieren, ging er 1710 nach Italien, wo er den sächsischen Kurprinzen Friedrich August (nachmals August III.) kennenlernte; fasziniert von seiner Musik, wusste der Thronprätendent seinen Vater zu bewegen, Heinichen mit Datum vom 1. August 1716 als königlich-polnischen und kurfürstlich-sächsischen Kapellmeister zu verpflichten. In Dresden schrieb Heinichen nicht nur etliche Opern und Festmusiken (darunter einige Serenate für die 1719 gefeierte Hochzeit des Kronprinzen), sondern in der Folge vermehrt Musik für den katholischen Hofgottesdienst. In seinem überreichen, vielgestaltigen Œuvre finden sich große italienische Opern und eine Fülle vokaler Kammermusik, ferner ein knappes Dutzend lateinischer Messen und Werke für die katholische Liturgie, daneben protestantische Kirchenkantaten sowie Sinfonien und Instrumentalkompositionen für die unterschiedlichsten Anlässe und Besetzungen.
Dass ein Hofmusiker im frühen 18. Jahrhundert die unterschiedlichen Stile der Musik seiner Zeit beherrschte, war selbstverständliche Voraussetzung für seine Anstellung, und konfessionelle Vorbehalte bestanden weder auf Seiten des Regenten noch der Ausführenden. Die Probleme, die aufkamen, als der sächsische Kurfürst um der polnischen Krone willen zum Katholizismus konvertierte, die Bevölkerung des Landes aber und selbst die eigene Ehefrau die lutherische Konfession nicht aufzugeben bereit waren, führten zwar immer wieder zu erheblichen Unruhen in der sächsischen Residenzstadt; doch konnte die Musik ein Mittel sein, Differenzen der Glaubenspraxis zu nivellieren. Klänge mochten geistliche Aussagen intensivieren und Eindrücke einer „anderen“ Welt zu suggerieren; doch die spirituelle Erfahrung, die sich qua Musik vermittelte, war nicht konfessionell gebunden.
Was sich zumal an Heinichens Passionsmusiken zeigt. Drei kleinere Oratorien sind aus den 1720er Jahren erhalten: zwei auf italienische Texte, mit denen die Tradition der Sepolcri-Kompositionen in Dresden eingeführt wird, ein weiteres „Oratorio todesco“, das in der Geschichte der deutschen Passionsvertonungen einen singulären Platz einnimmt (und auch als Anregung für die Passionsmusiken von Johann Sebastian Bach, der mit Heinichen persönlich bekannt war, gelten kann). Die italienischen Oratorien, nach Maßgabe der Aufführungsdauern, die Heinichen am Ende seiner Partituren approximativ angab, Werke von ca. 45 Minuten Dauer, sind Surrogate groß besetzter Passionsmusiken, für die in der katholischen Liturgie kein Platz war. Die Missa sicca des Karfreitags ließ nach uraltem Ritus keinerlei Instrumentalmusik zu, und erst in der Feier der Osternacht bedeutete die Renaissance des vollen (Orgel-)Klangs zum Gloria eine dramaturgisch wirkungsvolle Untersetzung des Auferstehungsjubels.
Demgegenüber sind die kleinen Spielszenen, die am Sepulcrum – dem heiligen Grab, das in der Kirche kunstvoll ausstaffiert wurde – erklangen, paraliturgische Musik, die vermutlich am Karsamstag aufgeführt wurde. Reduziert in der Besetzung – auf den Glanz von Pauken und Trompeten, aber auch der Posaunen wurde mit Rücksicht auf die stillen Tage verzichtet –, war der künstlerische Anspruch, der zumal an die Gesangssolisten gestellt wurde, keineswegs gering. Die Faktur der Arien entsprach dem aus der Oper bekannten Niveau, die Folge von Rezitativen und Arien, einleitender Sinfonia und Schlusschor verweist in derselben Weise auf das Paradigma des Musiktheaters, an dem sich die Kirchenmusik und zumal der in Italien geschulte Heinichen selbstverständlich bei der Komposition dieser höfischen Musik orientierte.

 

Auszug aus dem Vorwort zu diesem Band von Michael Heinemann

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