Fantasia et Fuga in c BWV 562 liegen in einem Autograph Bachs vor, das aus seinen letzten Lebensjahren stammt. Die nur fragmentarisch überlieferte Fuge wurde um 1747/48 niedergeschrieben, die Fantasia vermutlich etwas früher (1743/45?). Es ist anzunehmen, dass die Fantasia bereits noch früher, vielleicht schon in Weimar entstanden ist. Ihre auf französische Vorbilder fußende fünfstimmige Satztechnik lässt eine Verwandtschaft mit der Fugue á 5 aus dem Gloria des Livre d’Orgue von Nicolas de Grigny (1671-1703) erkennen, ein Werk, das Bach in seiner Weimarer Zeit abgeschrieben hatte.
In Leipzig scheint der Plan entstanden zu sein, die Fantasia zu überarbeiten und durch eine Fuge zu ergänzen, obwohl bereits die Fantasia selbst einen sehr dichten fugiert-polyphonen monothematischen Satz aufweist. Ob dies auch der Grund dafür war, dass die Fuge schließlich unvollendet blieb, kann schon deswegen nicht beantwortet werden, weil dies keineswegs ausgemacht ist. Die Quelle besteht aus einem Bogen mit vier Seiten, von denen die drei ersten die Fantasie enthalten, die vierte die Fuge bis zur Hälfte des 27. Taktes. Genau am Seitenende bricht die Handschrift ab, nicht, ohne noch durch Custodes den Übergang auf die nächste (aber nicht mehr vorhandene) Seite angedeutet zu haben. Es kann also durchaus sein, dass das Werk durch Bach vollendet wurde und lediglich die fehlenden Seiten verloren gingen. Während die Fantasia in mehreren weiteren Abschriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert überliefert ist, gibt es zur Fuge außer dem Autograph keine weiteren Quellen, so dass das Fragment nicht aus anderen Quellen ergänzt werden kann.
Es gibt in Bachs Orgelwerk nur zwei weitere fünfstimmige Fugen und keine weitere im 6/4-Takt. Allen vergleichbaren Leipziger Werken gemeinsam ist eine dreiteilige Anlage.
Das Fragment lässt nach der fünfstimmigen Fugenexposition bereits nach 21 Takten eine Engführungsdurchführung folgen. Kurz danach ist das Ende der Quelle erreicht.
Das Thema lässt außer der Engführung im Halbtaktabstand sowohl die Versetzung in Dur-Varianten als auch seine Umkehrung zu. In dieser Form entspricht es dem Thema der Passacaglia c-Moll BWV 582. Auch mit seiner Umkehrung lässt es sich engführen. Diese Themeneigenschaften sowie die früh eingeführte Engführungsepisode lassen darauf schließen, dass Bach in dieser Fuge eine stark kontrapunktisch orientierte Ausarbeitung verwirklicht hat oder verwirklichen wollte. Die Entstehung in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Arbeiten an der Kunst der Fuge und den Canonischen Veränderungen unterstützt diese Vermutung.
Für die Gesamtdisposition bei der Ergänzung des Fragmentes dienten Bachs späte Leipziger Orgelfugen als Vorbild. Deren Architektur, die die mathematische Dreiteilung gezielt variiert, diente ebenso als Muster, wie Bachs Vorliebe für die Anwendung des Goldenen Schnittes. Kommen in den ersten beiden Fugenteilen die verschiedenen Varianten des Themas zur Entfaltung, so werden mit dem dritten Teil zwei neue miteinander verbundene Kontrasubjekte eingeführt und nach eigener Exposition mit dem Thema kombiniert. Das neue chromatische Kontrasubjekt verdichtet und steigert den Satz gegen Ende in harmonischer Hinsicht.
Andreas Fischer