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Gottfried Heinrich Stölzel (1690-1749)
Kantate "Aus der Tiefen rufe ich"
für Soli (SATB), Chor (SATB), 2 Ob., Str. u. Bc
Herausgegeben von Denis Lomtev

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979-0-502341-23-7
Partitur, Broschur, X + 20 Seiten
inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten 21,50 EUR

„Gottfried Heinrich Stölzel ist einer von den vernünfftigen, gelehrten und grossen Tonmeistern […]“. Mit diesen Worten leitete Johann Mattheson die Autobiografie des Komponisten ein, die 1740 in der Grundlage einer Ehren-Pforte, also noch zu Stölzels Lebzeiten, erschien. Laut dieser Quelle wurde Stölzel am 13. Januar 1690 im erzgebirgischen Grünstädtel geboren. Er erhielt die erste musikalische Ausbildung in seiner Heimatstadt, später lernte er an den Gymnasien von Schneeberg und Gera. 1707 begab er sich an die Universität nach Leipzig und wurde dort musikalisch durch den Organisten und Musikdirektor an der Neukirche, Melchior Hoffmann, gefördert.
Sein Weg führte ihn 1710 als Musiklehrer nach Breslau; hier entstand Stölzels erste Oper Narcissus. 1712 komponierte er im Auftrag Johann Theiles für die Naumburger Peter-Pauls-Messe die Oper Valeria; zwei weitere Opern für Naumburg folgten. 1713 trat Stölzel eine achtzehn Monate währende Reise nach Italien an (Venedig, Florenz und Rom) und pflegte dort u.a. Kontakte mit Francesco Gasparini, Antonio Vivaldi sowie Giovanni Bononcini. Anschließend wirkte Stölzel fast drei Jahre lang als Komponist in Prag.
Zur Zweihundertjahrfeier der Reformation 1717 erhielt er einen Ruf nach Bayreuth, wo er Opern und Kirchenmusik komponierte. Über seinen weiteren Lebensweg berichtete er: „Ao. 1718 wurde ich von Ihro Hochgräfl. Gnaden zu Gera zum Capellmeister berufen, und eben dieses Jahr führte ich eine Oper Diomedes [oder Die triumphierende Unschuld] genannt, von meiner Arbeit, zu Bayreuth auf.“ Das Werk erfreute sich großer Beliebtheit. Johann Sebastian Bach, der die Musik seines Kollegen Stölzel sehr schätzte und dessen Kirchenmusik aufführte, nahm eine Arie aus der Oper (Bist du bei mir) in das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach auf. Im Herbst 1719 wurde Stölzel von Herzog Friedrich II. in das Amt des Hofkapellmeisters nach Gotha berufen. Dort wirkte er 30 Jahre lang bis zu seinem Tod am 27. November 1749.
Stölzel war ein äußerst produktiver Komponist, der in gleichem Maße durch Bühnenwerke (darunter mindestens 17 Opern) sowie durch Instrumentalmusik bekannt wurde. Im Zentrum seines Schaffens, insbesondere seit seiner Einstellung in Gotha, stand jedoch die geistliche Musik, vor allem die Komposition von Kirchenkantaten, die er auch nach Gera, Sondershausen und Zerbst lieferte. Von über 1350 nachgewiesenen Werken dieser Gattung ist etwas weniger als die Hälfte überliefert. Neun davon werden an Stölzels Wirkungsort, Schloss Friedenstein, in der heutigen Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt aufbewahrt.
Die Kantate Aus der Tiefen rufe ich wurde von Stölzel 1744 für den fünften Sonntag nach Ostern (Dominica Rogate) komponiert und vermutlich am 10. Mai jenes Jahres aufgeführt. Sie gehört zum zwölften und letzten, 1743/44 geschaffenen Kantatenjahrgang des Komponisten, der als Hofkapellmeister in Gotha gerade im Zenit seines Ruhmes stand. Benannt wurde das Werk nach dem ersten Vers des Psalms 130, der dem von Stölzel selbst verfassten Libretto zugrunde liegt. Seine Autorschaft wird durch das gedruckte Textbuch für den besagten Kantatenjahrgang bezeugt.
Neben dem Psalm gibt es eine weitere poetische Vorlage, die im Libretto durch einen Vermerk „p. 620 v. 1“ (auf Seite 89 des Textbuchs) angedeutet ist. Stölzel nennt keine Quelle dazu. Es handelt sich um das Geistliche neu-vermehrte Gothaische Gesang-Buch, das in der dortigen Schlosskirche Verwendung fand. Darin wird auf Spalte 620 unter der Nr. 603 das von Georg Christoph Schwämmlein (1632–1705) gedichtete Kirchenlied Aus der tieffen ruffe ich angeführt, versehen mit einem Hinweis auf die dafür zu verwendende Melodie Ach was ist doch unser leben. Stölzel übernimmt den ersten Vers des Textes ebenso wie die Melodie für den vierten Teil seiner Kantate, den Choral, den er als schlichten vierstimmigen Satz Note gegen Note vertont. Die Instrumente gehen colla parte.
Der Choral steht ideell und von der Anordnung der Sätze her im Zentrum der Komposition. Um ihn herum sind alle anderen Teile der Kantate spiegelbildlich angeordnet: Chor – Rezitativ (S, A, T, B) – Duett (S, A) – Choral – Duett (T, B) – Rezitativ (S, A) – Chor.
Die erste Phrase der Choralmelodie erklingt auch im einleitenden Chor, eingebettet in den Vordersatz
(T. 3–6, Sopran) und den Nachsatz (T. 10–13, Alt) von dessen homophonem Teil. Anschließend folgt eine vierstimmige Chorfuge auf die Worte „lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens“ (T. 15–58). Zusammen mit zwei vorausgehenden Takten wird sie komplett als Schlusschor der Kantate wiederholt. Dies verstärkt die symmetrische Wirkung der Eckteile in der oben beschriebenen Struktur des Gesamtwerkes.
Die beiden Duette, Bete, wie dich Jesus lehret (S, A) und Du, Vater, weißt es (T, B), haben ähnliche charakteristische Merkmale: die von Stölzel bevorzugte imitierende Zweistimmigkeit der Vokalteile, eingeleitet bzw. umrahmt von den instrumentalen Ritornellen. Das Eingangs-Ritornell wird dabei zur thematischen Grundlage der Gesangabschnitte, und diese stehen wiederum in einem komplementären Verhältnis zu den Zwischen-Ritornellen.
Von den beiden Rezitativen ist jenes, das eine Brücke vom ersten Chor zum ersten Duett schlägt, bemerkenswert, setzt der Komponist hier doch Zweistimmigkeit ein. Er platziert diesen Abschnitt am Satzende (T. 10–12) und nutzt ihn zu einer besonderen Ausdeutung des Textes bzw. zur Markierung eines inhaltlichen Schwerpunkts des Rezitativs.

Aus dem Vorwort von Denis Lomtev

 

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